Wer heute nach einem vertieften Leben sucht, stößt irgendwann auf den Namen Meister Eckhart, ein Mystiker
des Mittelalters, so erfährt er vielleicht, der aus der Einheit mit Gott heraus gesprochen habe. Einzelne Zitate aus
Eckharts Predigten sind in der spirituellen Literatur, auch in der zen-buddhistisch inspirierten, weit verbreitet. Erich
Fromm, Dorothee Sölle, Willigis Jäger und viele andere berufen sich auf ihn. Meine fundamentaltheologische
Dissertation zu Meister Eckhart, 1996 erschienen, zeigte auf, welche Bedeutung Eckharts ungewöhnliches Ver-
ständnis der christlichen Heilsbotschaft für die heutige Vermittlung dieser Botschaft haben kann.
»Gott und ich sind eins«, »Dass Gott Gott ist, davon bin ich die Ursache«. Eckharts Aussagen provozieren und
erheben einen hohen Anspruch. Sie scheinen mit dem gängigen christlichen Selbstverständnis nur vereinbar zu
sein, wenn man sie für den Ausdruck besonderer mystischer Erlebnisse hält. Eckhart wollte jedoch argumentierend
und poetisch erschließend über die Grundlagen jedes Menschenlebens sprechen. Seit mehr als zwanzig Jahren lese
ich mit Erwachsenen Texte Meister Eckharts. Dabei zeigt sich immer wieder, dass man Eckharts Aussagen nicht
verstehen kann, wenn man ihren philosophischen Hintergrund nicht kennt. Eckharts Philosophie wirkt zwar zunächst
abstrakt, erweist sich aber tatsächlich als Schlüssel.
Wer in Eckharts Worten nicht nur Anregung zum freien Assoziieren sucht, sondern nachvollziehen will, was er
gedacht hat, um sich dann mit seinen Gedanken meditativ zu beschäftigen oder argumentierend auseinander zu
setzen, kommt um eine theologisch-philosophische »Lesehilfe« nicht herum, wie ich sie in meinen Lese- und
Gesprächskreisen und in meinem »Meister-Eckhart-Brevier« (erschienen im Kösel Verlag, München 2010) anbiete.